Suche das Göttliche in dir

„Der christliche Glaube sagt doch, ich verlasse mich auf Jesus als meinen Erlöser von Schuld und das Vertrauen in ihn ist sozusagen meine Eintrittskarte ins ewige Leben. Wer ihn sieht, sieht den Vater. Inwiefern passen dann Ausdrücke wie „das Göttliche in mir suchen“ dazu? Bewegt man sich da nicht auf brüchigem Eis?“

Diese Anfrage bekam ich, nachdem ich zu Gast im Podcast ganzda.de war. Und ich kann sie gut verstehen. Sie spiegelt wieder, womit ich selbst aufgewachsen bin. Gott dort oben, ich da unten. Unendlich weit voneinander getrennt. Überbrückt nur durch das Kreuz, das über dem Abgrund liegt. Ich nutze die Begegnung für einen kleinen Exkurs über Religion.

Religion: der äußere Weg zu Gott.

Religionen sind in ihrer äußeren Form und Gestalt unterschiedlich.
Mit unterschiedlichsten Vorstellungen von Gott oder dem Göttlichen.
Mit verschiedenen Regeln, Theorien und Dogmen.

Auf der mystischen Ebene gibt es eine Verbindung: nämlich die Suche und Erfahrung Gottes auf erstaunlich ähnliche bis sogar identische Weise!

Gott in mir finden: der innere Weg zu Gott

„Das Göttliche in mir suchen“ bedeutet: Gottes Daumenabdruck in mir finden.
Staunend erkennen, dass ich äußerlich aus Staub, innerlich aber aus göttlicher Materie geschaffen bin.
Überwältigt sein von der Erfahrung, dass ich im tiefsten Kern nicht von Gott getrennt sondern verbunden bin.
Ausflippen angesichts der Erkenntnis, dass ich keine Marionette im göttlichen Schauspiel sondern selbst schöpferisch-gestaltend tätig bin – im Guten wie im Schlechten.

„Gott in mir“ ist – trinitarisch gesprochen – der Heilige Geist, der Atem Gottes in mir, der in mir meine eigene Göttlichkeit lebendig werden lässt. Es ist die Erfahrung der Mystiker in allen Religionen.

Jesus zeigt uns das Gesicht Gottes – yes!
Aber als „Eintrittskarte in den Himmel“ brauchen wir ihn nicht. Jesus ist nicht der „Wischmopp zur Bereinigung der Sünde“ und unser Seelenheil kein „einmaliger Deal zwischen Jesus und seinem Vater“ (Richard Rohr). Gott braucht keine Opfer!

Ist Jesus MEIN Weg?
Ja, und ich kann mir keinen besseren Zugang zu Gott vorstellen!
(Diese Aussage gilt für Jesus – leider nicht ungeteilt für die christliche Religion)

Ist Jesus DEIN Weg?
Das weiß ich nicht.
Ich weiß, dass Gott jedem Menschen auf seine Art und Weise begegnet.

Wenn Gott die oberste Bergspitze ist, oder anders herum die tiefste Quelle, gibt es verschiedene Pfade dort hinauf bzw. hinab.

Bild: 李磊瑜伽/Pixabay

3 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • Hallo,
    ich finde, da sind zwei vom Ansatz her unterschiedliche Wege erkennbar, die klar ausdifferenziert werden können.
    Einmal der Weg der Selbstunterwerfung unter Gott. Dieser geht von der Emotionalität aus, die bei den meisten Menschen eine starke Antriebskraft ist, und zielt auf Hingabe ab. Man kann hier drei Stufen unterscheiden: Das Bittgebet, also eine Bewegung Gottes auf die Seele zu (ein Sich-Öffnen und Warten); die Anbetung, wenn die Seele Gott alles, was sie ist und tut, aufopfert (das Selbstopfer spielt hier durchaus eine Rolle); und schließlich die geistige Annäherung dieser beiden, die gereifte Kontemplation. Die Maxime ist hier: „Ich bin nicht mehr.“ (Oder wie Paulus sagt: Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir.)
    Der andere Weg ist Selbstanstrengung. Davon werden eher Kopfmenschen angezogen. Dabei wird nicht ein außenstehender Gott angenommen, sondern ein immanentes Bewusstsein – genannt Selbst, Atman, Buddha-Natur, unsterbliche Seele – das sozusagen von innen nach außen den Menschen vollständig durchdringen soll. Die Maxime lautet: „Ich bin alles.“ (Buddhismus, Advaita). Das ist auch der Weg, der von Kirchenmännern und vielen Christen wegen Egozentrik, „Selbsterlösungswillen“ etc. unnötigerweise kritisiert wird.
    In den monotheistischen Religionen wird natürlich der erste Weg herausgestellt, in der heutigen Zeit aber sehe ich den zweiten mit mehr Gewicht.

    Antworten
    • Yvonne Ortmann
      3. Januar 2022 7:34

      Danke! Die Kritik am zweiten Weg liegt in dem begründet, was du selbst schreibst: „Selbstanstrengung“. Dabei wird übersehen, dass es „Selbstanstrengung“ sowohl auf dem ersten als auch zweiten Weg geben kann und auf beiden Wegen nicht zum Ziel führt. Nicht zu verwechseln mit einer regelmäßigen spirituellen Praxis, die manchmal auch langweilig oder anstrengend sein kann.
      Spannend finde ich, wo bei Jesus auch der zweite Weg auftaucht und wo in der fernöstlichen Religiösität die Hingabe (an Gott und Menschen) hineinkommt.

      Antworten
  • Christian Schmill
    19. September 2023 13:35

    Hi Yvonne. Ich hab ja eine ähnliche religiöse Biografie wie du und kann deine Gedanken gut nachvollziehen. Leider bleibt man beim Religiösen so häufig beim Oberflächlichen und Äußerlichen. Ich glaube, es geht dabei auch immer um ein Ausbalancieren vom Individuellen und Kollektiven. Religiöse Tradition ist ja naturgemäß immer etwas, das von Außen zu mir kommt und ein Kind erst einmal erlernen muss. Es sind die Überlieferungen einer Traditionsgemeinschaft, etwas Kollektives. Man findet dabei allerdings auch Überlieferungen von individueller (mystischer) Gottesbegegnung. Ich bin durch die biblischen Texte auch damit aufgewachsen, und heutzutage erfreue ich mich an der Feier des göttlichen Geheimnis in der katholischen Eucharistie. Ich verstehe meinen Weg heute als ein Ausbalancieren zwischen den individuellen und kollektiven Erfahrungen mit dem Göttlichen.

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